Das Leben in die eigene Hand nehmen

Nach Jahren in Behindertenheimen hat Erika Reiffenberg jetzt selbst eine Wohnung - und blüht aufErika Reiffenberg

"T'schuldigung, ich bin gerade noch am Spülen", sagt Erika Reiffenberg lachend und lädt mit freundlicher Geste ins Wohnzimmer ein. "Möchten Sie ein Glas Wasser trinken?" Schnell holt sie die Erfrischung aus ihrer kleinen Küche in der Spar-und-Bauvereins-Wohnung an der Nansenstraße. Seit Oktober 2001 lebt die 44-Jährige dort alleine. Sie ist geistig behindert und hat die meiste Zeit vorher in Heimen verbracht.

Der alkoholkranke Vater sei mit sechs Kindern überfordert gewesen, erzählt sie. Und die Mutter habe die Familie im Stich gelassen. Fünf Kinder seien ins Heim in Leichlingen gekommen. "Mit 16 Jahren war ich 1976 eine der Ersten, die in die Heimstatt Adolph-Kolping gezogen sind", erinnert sich Erika Reiffenberg. "Sogar ein paar Lehrlinge lebten noch dort, denn das Heim wurde gerade von einer Unterkunft für Auszubildende in ein Wohnheim für geistig Behinderte umgewidmet."

Seit 1976 arbeitet Erika Reiffenberg in der Werkstatt für Behinderte. "Anfangs hatte ich gehofft, bei Zwilling am Computer zu arbeiten", erzählt sie. "Doch ich war zu langsam. Nun bin ich wieder an der Freiheitstraße. Und die Arbeit macht Spaß."

Erika Reiffenberg liebt es spannend und gruselig, wie die Filme in ihrem Regal zeigen. "Ich bin früher immer hinausgegangen, wenn Erika sich solche Videos angeguckt hat", erinnert sich Beate Boll, die Leiterin der Heimstatt Adolph-Kolping. "Von langer Hand haben wir vorbereitet, dass Erika nun alleine leben kann." Wichtig sei auch, dass die sozialen Kontakte stimmen. "Einmal die Woche kommt die Betreuerin und bespricht alles Notwendige", erklärt Beate Boll. "Und direkt gegenüber ist auch ein ehemaliger Bewohner unserer Einrichtung eingezogen: Die beiden sehen sich jeden Tag, kümmern sich umeinander, gehen einkaufen, kochen zusammen oder treffen sich mit anderen."

Den Haushalt schmeißt Erika Reiffenberg ganz alleine. Gestrickte Socken, gestrickte Patchwork-Decken, filigrane Schiffs- und Flugzeug-Modelle oder ein großes Turm-Puzzle zeugen von der praktischen Begabung und der ruhigen Hand, die Erika Reiffenberg hat. "Sie kann hervorragend mit Geld umgehen", lobt Beate Boll. "Das habe ich vom ersten Heimleiter gelernt", sagt Erika Reiffenberg, "der war ganz streng." Sie spart viel und zeigt stolz, was sie sich alles schon gekauft hat: einen Wohnzimmerschrank, den Schlafzimmerschrank, den neuen Couchtisch, die Stereo-Anlage. Erika Reiffenberg ist Selbstversorgerin. Das heißt, sie kann ihre Wohnung und sogar einen Anteil am Gehalt der Betreuerin selbst finanzieren.

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HINTERGRUND

Von Susanne Koch
30.03.05

HINTERGRUND

 

(kc) Voraussichtlich am 1. Juni wird die Kontakt- und Beratungsstelle an der Weyerstraße 248 eröffnen. Behinderte und ihre Angehörigen können sich dort künftig informieren, aber auch Kontakte knüpfen, die Freizeit gestalten, Wäsche waschen oder Hilfe holen. "Vom Landschaftsverband wird die Stelle gefördert", freut sich Gabriele Gögge-Pauli, Leiterin der Behindertenheimstätte, die die Konzeption zusammen mit der Leiterin der Heimstatt Adolph-Kolping, Beate Boll, entwickelt hat. "Je mehr behinderte Menschen allein in ihren Wohnungen leben, um so wichtiger ist es, dass sie eine Anlaufstelle haben." Und der Landschaftsverband werde zunehmend auf die ambulante Betreuung von Behinderten setzen: Das sei viel preiswerter als Wohnheime.

Die künftigen Mitarbeiter stehen bereits fest: eine halbe Stelle wird die Sonderpädagogin Susanne Steltzer von der Behindertenheimstätte bekommen, die andere halbe wird mit dem Sozialpädagogen Dirk Lörcher von der Heimstatt Adolph Kolping ausgefüllt. Geplant ist dabei auch ein Café.

30.03.05

 

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